Brauchbar oder Müll?
Standen Sie in Ihrem Leben schon einmal auf einer Müllkippe? Ich nicht. Und wenn Sie mir jetzt etwas vormachen wollen und behaupten Sie hätten schon einmal eine Müllkippe in Deutschland betreten, dann würde ich das als nicht vergleichbares Erlebnis abtun. Sei’s drum. Unwissend wie man in Deutschland überhaupt Gelegenheit bekommt eine Müllkippe zu betreten, möchte ich Ihnen eingangs schildern wie es sich anfühlt ein paar Schritte auf der größten Müllkippe Mosambiks, der »Lixeira de Maputo« zu tun.
Lodernde Flammen. Beißender bräunlicher Rauch, der in den Augen brennt. Das Atmen fällt schwer. Menschliche Silhouetten im Rauch brennenden Mülls. Menschen, Kinder, die im unsortierten Müll suchen, was zu verkaufen oder anderweitig zu verwerten ist. Eintreffende Müllfahrzeuge werden geradezu gestürmt und schon bei Einfahrt auf die Müllkippe erklimmt ein Dutzend die Ladefläche und beginnt sie nach verwertbarem zu durchwühlen. Ein Junge kommt mir barfuss entgegen. Auf seinem Kopf balanciert er ein mächtiges Bündel Metallteile. Zögerlich und beklommen tue ich ein paar Schritte. Im größten städtischen Ballungsraum Mosambiks produzieren knapp 2 Millionen Einwohner weit mehr als 1.000 Tonnen feste Abfälle täglich. Tendenz steigend. Von städtischer Seite werden Abfälle, die als Wertstoffe aufbereitet oder wieder verwendet werden könnten, nicht getrennt gesammelt. Hier landen alle Abfälle noch im selben Container. Es gibt keine Behandlung der Abfälle, um deren negative Umwelteinflüsse zu verhindern. Aber es gibt den informellen Sektor und diese riesige Müllkippe vor mir.
In einer Kooperation mit »terre des hommes« Deutschland (tdh) unterstützt der Verein »Lernen fürs Leben e.V.«, für den ich mich in Deutschland engagiere, seit über 5 Jahren die Arbeit dieser lokalen NGO mit finanziellen Mitteln. Heute bin ich nach Hulene gekommen, um mir Vor-Ort einen Eindruck von der Arbeit dieser Organisation zu verschaffen. Zwischen notdürftig zusammengezimmerten Hütten finde ich in einem kleinen Gebäudekomplex das »Lixeira-Zentrum« und meine Ansprechpartnerin für den heutigen Tag: die Regionalkoordinatorin von tdh in Mosambik.
Das Zentrum bietet Straßenkindern und arbeitenden Kindern mehr als nur Suppenküche und erste Hilfe. Die Angebote reichen von psychologischer Beratung und Kontaktaufnahme zu den Eltern bis hin zur Ausbildung. In den Schul- und Werkstatträumen erhalten fast 200 Kinder eine Grundschulausbildung und handwerkliche Fertigkeiten in Holz-, Textil-, und Drahtverarbeitung. Darüber hinaus werden Aufklärungs- und Informationsveranstaltungen zu HIV/AIDS angeboten. tdh unterstützt »Renascer« dabei, die Familien in der Umgebung der Müllkippe zu überzeugen, dass sie ihre Kinder nicht zum Müllsammeln, sondern statt dessen in die Schule schicken sollen. Das aber bedeutet meist Einkommensverluste für die Familien. Die, die zustimmten, taten es in den meisten Fällen nur deshalb, weil die Kinder hier im Zentrum eine Mahlzeit bekommen. Das kompensiert den Einnahmeverlust. Machen wir uns nichts vor: Die Familie, die vielleicht ein Kind oder zwei Kinder in die Schule schickt, schickt dafür vielleicht zwei andere auf die Müllkippe. Stabilisieren wir das Abfallsammeln am Ende? Sollten wir nicht lieber dafür eintreten, das die Menschen aus der Umgebung dieser rauchenden Giftanlage zwangsevakuiert werden, oder die Müllkippe geschlossen wird? Mir erwachsen die ersten kritischen Fragen. Immerhin haben seit Bestehen des Projekts von »Renascer« über 800 Kinder eine Schulausbildung bekommen.
Ortswechsel. Unweit des Zentrums konnte dank der finanziellen Unterstützung von »Lernen fürs Leben e.V.« eine Ausbildungswerkstatt für Tischler eingerichtet werden. Seit nunmehr 5 Jahren besteht hier für Jungen und Mädchen die Möglichkeit den Umgang mit dem Werkstoff Holz zu erlernen. Wir betreten die Werkstatt. Leider steht der Wind heute ungünstig und so dringt der Rauch der Müllkippe durch die offenen Fenster. Vier Jungs und ihr Ausbilder sind gerade dabei eine Sitzgruppe, bestehend aus Tisch und vier Hockern einfachster Machart, zu erstellen. Stolz präsentieren sie mir das bisherige Ergebnis ihrer Arbeit. Doch meiner anfänglichen Begeisterung folgt schon bald der zerstörerische Blick der rationalen Betrachtung. Wie effizient arbeitet diese Lehrwerkstatt, wie gestalten sich die Kosten für Lehrmaterial und laufenden Betrieb, welchen Bedarf an Maschinen gäbe es. Bilder meiner Kollegen aus Deutschland, die bereits vor 4 Jahren hier Vor-Ort waren, kommen mir in Erinnerung: Was hat sich seither verändert. Ich frage nach Perspektive und Vision. Zögerlich und verunsichert erhalte ich Antwort auf meine Fragen. Einzig der vor Stolz strahlende Blick eines Jungen, der mir ein von ihm geschreinertes Möbelstück präsentiert, kann mich für den Moment beruhigen.
Wir beschließen unseren Besuch im Schatten eines Baumes. Neben uns erholen sich einige Jungs von ihrer Arbeit auf der Müllkippe. Ein kleines Mädchen sitzt bei ihnen und verdient sich ein paar Metical durch den Verkauf von gekühltem Wasser und Bananen. Ich kaufe meinen Gesprächspartnern und mir ein paar Bananen. Gemeinsam resümieren wir über meine Eindrücke und diskutieren ob es nicht möglich sei den informellen Sektor zu organisieren und sinnvoll einzubeziehen. Man berichtet mir von einem Lehrer, der sich gemeinsam mit einigen arbeitslosen Frauen zusammengetan habe und gegen Bezahlung Hausmüll einsammele. Inzwischen sei der Mann von der Stadt unter Vertrag genommen worden. Seine Leute bringen den Müll zu Containern, wo die Stadt in abholt und zur Deponie fährt. Dieses Modell soll auch auf andere Siedlungen übertragen werden, die die städtische Müllabfuhr mit ihren Fahrzeugen nicht erreichen kann, weil die Straßen fehlen. Folgerichtig muss die Frage daher heißen: wie können die informellen Abfallsammler langfristig in eine organisierte Entsorgung und Verwertung von Abfällen integriert und ihre Lebensbedingungen dadurch verbessert werden. Eines ist sicher: Kinder haben in dieser Welt eindeutig nichts zu suchen! Oft genug müssen sie dennoch mithelfen, um ihre eigene tägliche Mahlzeit zu sichern. In meiner persönlichen Schlussbetrachtung der Aktivitäten von »Renascer« bildet daher die von mir nur beiläufig beachteten Suppenküche den Schlüssel zum Erfolg. Den Anreiz zu setzen, wie etwa durch das Angebot einer Mahlzeit, scheint unter den hiesigen Gegebenheiten Voraussetzung für die Integration der Kinder in einen geregelten Schulbetrieb.
Als ich wenig später im Taxi Richtung Innenstadt fahre hängt der Geruch von Rauch in meinen Kleidern und in meinen Händen halte ich noch immer die Bananenschale. Trotz allen Mülls hatte ich mich nicht überwinden können sie auf der Straße fallen zu lassen. Das Ergebnis »deutscher Müllerziehung«.